Man muss damit anfangen, dass es am Ende um alles ging. Um die Demokratie und Migrationspolitik, um die Welt von gestern und die von morgen, um das Gebäudeenergiegesetz und soziale Gerechtigkeit, um politische Bildung und Beteiligung, um Söder und um Habeck, um das große Ganze und das Kleine, Konkrete. Es ging um die „Zukunft der Freiheit der Zukunft“ – und irgendwie ging es dann auch gar nicht mehr um die Freiheit. Aber schon der Titel der Konferenz greift diesen besonderen Charakter des Freiheitsbegriffs auf: Wer nach der Zukunft der Freiheit fragt, fragt automatisch nach der Freiheit der Zukunft. Dadurch, dass es prinzipiell die Freiheit nicht geben kann, muss man nach den jeweils anderen Bedeutungen fragen.
Das aber macht wohl das Wesen der Freiheit aus – und das hat der Freiheitsgipfel der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg am 29. Juni in Stuttgart unfreiwillig, ganz nebenbei auf den Punkt gebracht: Die Freiheit lebt davon, dass sie überall und nirgendwo zugleich ist. Überall, weil sich westliche, (ihrem Selbstbild nach) aufgeklärte Gesellschaften wie der unseren auf dem Ideal der Freiheit begründen und darüber politisch legitimieren. Niemand kann Politik gegen die Freiheit machen, im Gegenteil. Ganz gleich, ob Grüne oder AfD: Alle behaupten zumindest, für mehr Freiheit zu kämpfen. Freiheit, insbesondere die individuelle, ist der Leitwert unserer Gesellschaft. Das geht aber nur deswegen, weil der Freiheitsbegriff unterschiedlichste politische Zugänge und Verständnisse erlaubt – die Freiheit also nirgendwo ist.
Auf der Konferenz betonten etwa Franziska Brantner und Jan-Philipp Albrecht in ihren eröffnenden Statements, dass Freiheit schon immer im Zentrum Grüner Politik stünde und zum Beispiel Klimaschutz dem Schutz der Freiheit diene. Beide stellten auch heraus, dass eine solidarische Politik, die eine gute, funktionierende öffentliche Infrastruktur bereitstellt, die Teilhabe und damit Freiheiten aller sichere. Petra Olschowski hingegen riet davon ab, Klimaschutzpolitik (in der Öffentlichkeit) mit einem Kampf für die Freiheit zu verbinden – das sei für viele Menschen unplausibel, weil sie durch ökologische Politik vor allem Verbote und Einschränkungen fürchteten. Auch Professor Philipp Lepenies argumentierte im Rahmen der abschließenden Podiumsdiskussion in eine ähnliche Richtung. Wenn alles immer mit Freiheit begründet wird, verlören andere Werte und Normen – Gerechtigkeit, Solidarität, etc. – an Bedeutung. Das würde wiederum den Gegner*innen der sozialökologischen Transformation in die Hände spielen. Nisha Toussaint-Teachout von Fridays for Future Stuttgart hingegen bezeichnete die Klimakrise als das größte Freiheitsrisiko unserer Zeit, weshalb Klimaschutz vor allem ein Schutz der Freiheiten künftiger Generationen und marginalisierter Stimmen, etwa aus dem Globalen Süden, sei.
Schließlich bleibt man ratlos zurück: Brauchen wir jetzt eine neue Freiheitsbewegung, oder nicht? Ist ökologische Politik eine Politik für die Freiheit, oder „Verbotspolitik“, gegen die Freiheit?
Das Wesen der Freiheit und das ökologische Dilemma
Offensichtlich ist beides denkbar. Deutlich wird an dieser Diskussion dieses vielgestaltige Wesen der Freiheit. Immer werden verschiedene politische Konzepte und Interessen mit dem Freiheitsbegriff verbunden, sodass nicht von der einen Freiheit gesprochen werden kann. Der Begriff ist notwendigerweise offen: Er spiegelt und kondensiert aktuelle gesellschaftliche Konflikte und Debatten und wird je nachdem in Stellung gebracht. Es geht immer um Freiheit, aber jede*r meint etwas Anderes. Oder wie es in einem der Poetry-Slams, die die Konferenz mit ihren bewegenden, nachdenklichen und humorvollen Texten begleiteten, hieß: „Freiheit, ein Nomen fürwahr, ein weiblicher Singular, und doch eindeutig ein Begriff, der im Plural zu gebrauchen [ist].“
Gleichwohl ist in unserer Gesellschaft heute ein Freiheitsverständnis dominant, das seinen Ursprung im Neoliberalismus findet und zur Abwehr progressiver und ökologischer Politiken mobilisiert wird. In dieser Frage wiederum bestand Einigkeit bei allen Konferenzteilnehmer*innen: Mit der neoliberalen Freiheit – in aller Kürze: „Ich als Individuum darf tun und lassen, was ich will, weder der Staat noch andere dürfen mir irgendetwas vorschreiben, und ich darf vor allem: frei konsumieren, konsumieren, konsumieren“ – wird sich grüne, sozialökologische Politik nicht realisieren lassen. Denn Transformationspolitiken werden nicht einfach inhaltlich zurückgewiesen, sondern prinzipiell delegitimiert, da sie einen Angriff auf das überragende Gut der Freiheit darstellen würden („Verbotspartei“). Und eben das bringt die die ökologische Bewegung in diese verfahrene Lage: Sie kämpft doch im Namen der und für die Freiheit – aber die konkreten Maßnahmen werden als freiheitseinschränkend wahrgenommen und als Freiheitsberaubung diskreditiert.
Mehr Freiheit, weniger Freiheit, neue Freiheit – wie weiter?
Unter den Konferenzteilnehmer*innen bestand Uneinigkeit darüber, wie mit dieser Tatsache umzugehen ist. Damit allerdings hat der Freiheitsgipfel eine für die ökologische Bewegung zentrale Fragegestellung berührt: Braucht es einen eigenen, ökologischen Freiheitsbegriff (um darüber ökologische Politik im Sinne dieser Freiheit zu legitimieren), oder sollte man den aktuell dominanten, neoliberalen Freiheitsbegriff unberührt lassen und andere Normen stärker in den Vordergrund rücken (zur Legitimation ökologischer Politiken und Verhaltensänderungen)? Eine mehr oder weniger systematische Beantwortung dieser Frage scheint vollends auszustehen, aber von überaus weitreichender Bedeutung zu sein.
Sicherlich: Kurzfristig ist es vielversprechender, von der Freiheit zu schweigen und das verminte Feld der Debatten um Verbot und Verzicht nicht weiter zu bewirtschaften. Dagegen scheint aber zu sprechen, dass, erstens, die eingangs herausgestellte, besondere Stellung des Wertes der Freiheit als Leitwert und Legitimationsquelle von Politik es unmöglich macht, Mehrheiten nachhaltig für ökologische Politik zu gewinnen, ohne der Freiheit einen zentralen ideologischen Platz einzuräumen. Man kann eben keine Politik gegen die Freiheit machen. Der Begriff der Freiheit ist zu wichtig.
Die neoliberale Freiheit (vielleicht sogar auch die liberale) ist, zweitens, schlechthin unvereinbar mit einer ökologischen, klimaschützenden Politik, die die planetaren Grenzen achtet. Wenn individuelle Konsumentscheidungen kaum oder gar nicht eingeschränkt werden können, können Flugverkehr und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen, Art des Heizens, Ernährungsentscheidungen oder Klamottenkäufe nicht reguliert werden – Grenzüberschreitungen gehören sozusagen zum Programm, können mindestens nicht ausgeschlossen werden. Das schließt die Möglichkeit einer ökologischen Politik aus.
Nicht zuletzt kann die Genese eines ökologischen Freiheitsbegriffs, drittens, eine fruchtbare strategische Weiterentwicklung der ökologischen Bewegung zu einem Zeitpunkt sein, da die ideologische Verunsicherung groß ist. Das Ende des Zeitalters der „Nebenfolgenfreiheit“ (Bernd Ulrich), die Corona-Pandemie und der nunmehr auch hierzulande nicht zu ignorierende Beginn der Klimakrise stellt alte Gewissheiten über liebgewordene Gewohnheiten, aber auch die Trennung von Mensch und Natur, der Freiheit der Grenzenlosigkeit und des gewissenlosen Konsumismus in Frage. Dort liegt ein Potential für eine Art der politischen Ideologie für das Anthropozän, in dessen Mittelpunkt die Frage nach dem Reich der Autonomie unter Achtung und Wahrung der irdischen Grenzen steht. Frei sein in Abhängigkeiten, Prosperität in Kreisläufen, Freiheitsgewinne durch Nachhaltigkeit, in der Freiheit ankommen und bleiben können – zumindest wäre es eine Freiheit mit Zukunft, vielleicht ist sie aber auch die Freiheit der Zukunft.
Was der Freiheitsgipfel in jedem Fall gezeigt hat: Wir müssen als Grüne politische Bewegung über Freiheit reden und Antworten darauf finden, was wir unter Freiheit verstehen. Auch wenn es wenig sinnvoll ist, alles mit dem Begriff zu verbinden, was generell wünschenswert scheint, darf der Freiheitsbegriff nicht mehr rein negativ zur Verteidigung von Privilegien, Konsumexzessen und grenzenloser Bewegungsfreiheit verstanden werden. Vielleicht ist das der entscheidende erste Schritt auf dem Weg zur „Zukunft der Freiheit der Zukunft“ und einer konstruktiven Kritik am vorherrschenden Freiheitsdiskurs: anzuerkennen, dass der Freiheitsbegriff immer gesellschaftliche Konflikte reflektiert und seiner Natur nach wandelbar und umkämpft ist. Erst diese Einsicht eröffnet überhaupt den Raum dafür, das vorherrschende Freiheitsverständnis herauszufordern und die Freiheit aus ihrer Defensivstellung (wieder) zu einem Begriff gesellschaftlicher Emanzipation zu entwickeln. Mit Heinrich Böll: „Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen.“ Und sie ist zu wertvoll, um sie anderen zu überlassen.
Freiheit und Demokratie – die Zukunft der Freiheit
Diese beiden Stränge – der diskursive, konflikthafte Charakter des Freiheitsbegriffs und die Notwendigkeit einer systematische(re)n ökologischen Freiheitskritik – zeigen womöglich beide den eigentlichen, politischen Kern der Freiheit und lassen sich darüber zusammenführen: Die Freiheit zu besitzen, die andauernden Freiheitskonflikte kollektiv auszuhandeln, mithin gewaltfrei zu lösen und damit immer wieder die Freiheit neu zu bestimmen – das ist der demokratisch-republikanische Kern der Freiheit, der unbedingt verteidigt werden muss, wem an der Freiheit gelegen ist.
Die ökologischen Katastrophen unserer Zeit, das Anthropozän zwingt uns, anzuerkennen, dass wir in Abhängigkeiten leben. Freiheit kann also nicht bedeuten, jenseits dieser Abhängigkeiten zu leben, da sonst die Grundlagen der kollektiven wie individuellen Freiheit zerstört werden. Aber wie wir den Umgang mit diesen Abhängigkeiten und Grenzen ausgestalten – ob der Globale Norden weiter zulasten des Globalen Südens, ob einige Wenige weiter auf dem Rücken von Milliarden anderen, ob von einer kleinen Gruppe autoritär über die Köpfe der Mehrheit hinweg oder auf demokratischem Wege durch die Beteiligung möglichst vieler –, das ist eine offene Frage.
Da die Freiheit neu austariert werden muss und es einer neuen kollektiven Verständigung darüber bedarf, was Freiheit sein soll, muss diese Frage entschieden demokratisch beantwortet werden. Denn sollten wir uns nicht gegen neoliberale Freiheit der Grenzenlosigkeit und ihrer Blindheit für unsere Abhängigkeit von der Erde auflehnen und dem eine andere Version der Freiheit entgegenstellen, drohen wir jene politische Freiheit der öffentlichen, demokratischen Aushandlung zu verlieren. Die Freiheit verliert ansonsten ihr Wesen, ihre Offenheit und Umstrittenheit; sie schafft sich selbst ab.
Auf diesen Punkt hat auch Jan-Philipp Albrecht in Anlehnung an Heinrich Böll auf dem Freiheitsgipfel einleitend hingewiesen: Wer die Freiheit des Wortes nicht nutzt, wer sich nicht einmischt, der ist mit dafür verantwortlich, dass die Freiheit verkümmert. „Freiheit von der man keinen Gebrauch macht, welkt dahin.“ Sie lebt also davon, dass sie diskutiert wird. Und vielleicht ist Bedingung und Wesen der Freiheit der Zukunft zugleich, sich daran zu beteiligen, wie – und nicht ob – wir die Abhängigkeiten, unsere begrenzte Existenz auf der Erde ausgestalten.